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Burundi - Annäherungen an ein Armutsland · Teil 1

Burundi ist eines der ärmsten Länder der Welt.

Im Durchschnitt stehen pro Kopf und Jahr ca. 280 US $ (GDP) / 770 US $ (GDI) zur Verfügung. Zwar wurden Burundi in zurückliegenden Jahren gelegentlich Wachstumsraten um die 4 % pro Jahr bescheinigt, aber von diesen nur punktuellen Aufschwung-Daten abgesehen, kommt das Konflikt beladene Land seit Jahrzehnten nicht auf die Beine und muss kontinuierlich von internationalen Organisationen unterstützt werden.

Im Vordergrund stehen dabei die Armutsbekämpfung, die Vermeidung von Hungerkatastrophen sowie die Verbesserung des Gesundheitswesens und die Förderung zur Qualitätssteigerung im Bildungswesen.

Ein weiterer wesentlicher Punkt im Bereich der internationalen Hilfsmaßnahmen bzw. in der Entwicklungszusammenarbeit unter Schlagworten wie „Pact with Africa“ oder „Marshallplan für Afrika“, sind die Etablierung von demokratischen Strukturen inklusive Modernisierung administrativer und organisatorischer Ebenen innerhalb des Staatswesens, das Drängen auf die Wahrung der Menschenrechte und die allgemeine Gewaltprävention – all dies und einiges mehr subsumiert unter dem Stichwort der good governance.

Weltweit hat unter den so genannten Geber-Ländern im Zuge der zurückliegenden zwei Dekaden eine Art schleichender, aber kontinuierlich verfolgter Paradigmenwechsel stattgefunden – weg von der eher alimentierungsorientierten und oft nach dem Gießkannen-Prinzip verteilten Entwicklungshilfe, hin zu einer Entwicklungszusammenarbeit zwischen Geber- und Nehmer-Ländern. Deutliche Schwerpunkten sollen dabei auf die verstärkte Weckung von politisch-demokratischen sowie wirtschaftlichen Eigenleistungspotentialen der bedürftigen Staaten in Kombination mit gezielten Investitionsprojekten der Geber-Länder gelegt werden. Gewissermaßen Fördern und Fordern im großen Stile.

Insbesondere die Staaten Afrikas, die sich seit 2002 in der Afrikanischen Union zusammengeschlossen haben, sollen gemäß der entwicklungspolitisch veränderten Konzepte der Geber-Länder aus dem Schattendasein ihrer kolonial-historisch bedingten Statistenrolle heraustreten und auf der globalen Bühne bei der Aufführung der neuen „EineWelt-Oper“ in tragenden Rollen mitspielen und mitsingen. Klingt gut und manch ein politischer Akteur ruft schon euphorisch – Endlich, mit Afrika auf Augenhöhe.

Doch der Blickwinkel bleibt verzerrt, trotz zahlreicher Viel-Augen-Gespräche zwischen Vertretern aus afrikanischen Ländern, der Europäischen Union, den USA, China und anderen Global Playern im Rahmen von G7 und G20 Gipfel-Treffen.

Es wird viel getönt, auch getan, aber nur Weniges greift tatsächlich angemessen und befriedigend hinsichtlich der Prosperierung zahlreicher Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Ja – die Musik spielt derzeit in Afrika – ganz große Oper – aber in vielen afrikanischen Ländern halten sich die staatlichen Akteure nicht an das vereinbarte Libretto. Bestes Beispiel ist Burundi im Zuge der nunmehr knapp 13 Jahre währenden Amtszeit von Staats- und Regierungschef Pierre Nkurunziza.


Koloniale Vergangenheit – ein kurzer Blick zurück

Burundi, nach der Erlangung seiner Unabhängigkeit von Belgien im Jahr 1962, gilt seit dem als so etwas wie das „ewige Sorgenkind“ innerhalb der Weltgemeinschaft. Egal welche Zeugnis-Statistik zu welchem Thema auch immer man im Hause der UNO, USAID, der EU, der AU, FAOSTAT oder AFRISTAT aufschlägt – Burundis Noten sind fast durchweg und dauerhaft mangelhaft.

Bis zur Aufteilung Afrikas während der Kongo-Konferenz (1884 / 1885) war Burundi (ebenso wie Ruanda) ein seit hunderten von Jahren etabliertes eigenständiges Königreich in Afrika. Ab 1897 gehörte Burundi mit Ruanda, Tansania und einem kleinen Nord-Teil von Mosambique zum „Schutzgebiet“ Deutsch-Ostafrika.
Im Zuge des Ersten Weltkrieges eroberte Belgien im Jahr 1916 das Gebiet und die beiden Königreiche Burundi und Ruanda wurden unter der Bezeichnung Ruanda-Urundi 1919 / 1920 durch den Völkerbund unter belgische Verwaltung gestellt und als ein gemeinsames Mandatsgebiet behandelt. 1966 wurde die Republik Burundi ausgerufen (bis dahin noch eine konstitutionelle Monarchie) und vier Jahre zuvor die Republik Ruanda.

Die Geschichte und die Beziehungsgeflechte beider ehemaliger Königreiche vor der Kolonialisierung und dann Republiken nach 1962 / 1965, sind wegen der hier gebotenen Kürze nicht ausführlich darstellbar.

Hingewiesen sei jedoch in den folgenden drei Absätzen auf den Umstand, dass sich die neuzeitlichen Konfliktpotentiale in beiden Ländern im Falle der Hutu- und Tutsi-Bevölkerungsanteile ursprünlich nicht auf ethnische oder volksgruppen-spezifische Divergenzen gründen, die seit Alters her bestanden haben mögen, sondern erst - gewissermaßen als hausgemachter Konflikt - wegen der deutschen Kolonial- und belgischen Besatzungszeit entstanden und geschürt worden sind.


Hutu-Tutsi-Konflikt – ein europäisches Importgut?

In Burundi leben ca. 85 % Hutu, 14 % Tutsi und 1 % Twa. In Ruanda sind die Verteilungsverhältnisse sehr ähnlich. Völkerkundler und Sprachwissenschaftler aus aktueller Zeit weisen darauf hin, dass die Begriffe Hutu (Bedeut.: untergeordnete, dienende Person, Landwirte) und Tutsi (Bedeut.: Rindereichtum, Viehzüchter) und Twa (Jäger und Sammler, Töpfer) in früherer Zeit keine Bedeutung im Sinne einer ethnischen oder gar rassischen Klassifizierung hatten und somit auch im sozio-kulturellen Verständnis der Bevölkerung in den zwei früheren Königreichen nicht zur Bewertung von gesellschaftlichen Strukturen im Sinne der Bestimmung einer ethnischen Zugehörigkeit oder Rassenzuordnung herangezogen wurden.

Die hierarchischen Bewertungen oder Einordnungen ergaben sich durch den sozialen Status und den Grad des Wohlstandes innerhalb und unter den drei Bevölkerungsgruppen, die sich insgesamt als das Volk der Rundi definierten und eine gemeinsame Sprache besitzen – Kinyarwanda. Es handelte sich um eine Art Kasten-Struktur mit gesellschaftlich höher und niedriger stehenden Bevölkerungsgruppen und Führungspersonen, die sich aber nicht gegeneinander ausgrenzten, sondern interagierten. Fast nach archaisch anmutenden Mustern bestritt die Mehrheit (Hutu) ihren Lebensunterhalt durch die Felderwirtschaft und die Minderheit (Tutsi) durch Viehzucht, die einen höheren Lebensstandard und Wohlstand ermöglichte und den Tutsi in der Gesamtgesellschaft eine höher stehende Position bescherte. Dies führte aber nicht zu Repressionen gegenüber den Hutu, denen der Aufstieg aus dem niederen Kasten-Dasein der einfachen Landbauern nicht verwehrt wurde. Die Hutu, gesellschaftlich tiefer stehend, waren schließlich mit ihrer überwiegenden Mehrheit die „Herren des Ackerbaus“ und somit Garanten für die Lebensmittelproduktion für den täglichen Bedarf.

Erst die Konfrontation mit den west-europäischen Kolonialisten und deren Interpretationen von Klassendenken, von Rassenlehre, Befehl und Gehorsam, Herrschen und Dienen, hätte die afrikanische Bevölkerung vor Ort erst auf die Idee gebracht oder auch gezwungen, ihre bisher eigens gefestigten Sozialstrukturen zu hinterfragen, abzuändern und somit an westliche Schemen und Systematiken anzupassen.

Deutsche und Belgier hatten während ihrer kolonialen Okkupationszeit in der Tat die vor Ort gegebenen Sozialstrukturen der Bevölkerung von Burundi und Ruanda, als Grundlage für ihre ethno-rassistischen Interpretationen und Lehren herangezogen. De facto war dies eine Missinterpretation, aber die allgemein so genannte Rassenlehre war zur damaligen Zeit ein wesentlicher Teil der Anthropologie in vielen Teilen Europas. Nationale Identitätsbestimmung durch Rassenmerkmale; Nasenlänge und Schädelform bestimmten die Volkskörperzugehörigkeit und die menschliche Wertigkeit. Insbesondere wir Deutsche wissen, welche vergifteten Blüten diese ideologisch motivierten und pseudo-wissenschaftlichen „Forschungen“ im Übergang vom 19. auf das 20. Jahrhundert dann im Zuge des Aufstiegs der deutschen Nationalsozialisten hervorgetrieben haben.

Unter Heranziehung der vorherrschenden sozio-kulturellen Strukturen kategorisierten Deutsche und Belgier die Bevölkerung in ihren afrikanischen Kolonien gemäß ethnisch-rassischer Kriterien (tatsächlich auch durch Vermessung der Körper) und schufen dabei neue Interpretationen bezüglich des Gesellschaftsgefüges. Der ohnehin wegen ihrer Erwerbstätigkeit als Vieh- und Rinderzüchter auf dem Wohlstandsbarometer höher stehenden Tutsi-Minderheit, wurden auf der Basis rassistischer Ideologien allerlei Überlegenheitsmerkmale angedichtet, während demgegenüber der bäuerlichen Hutu-Mehrheit eher die Rolle des dienenden „Untermenschen“ zugewiesen wurde. Die aus Sicht der Kolonialmächte „besseren“ und „reineren“ Tutsi wurden dann auch bei der Vergabe von Posten innerhalb des Verwaltungswesens und weiteren gesellschaftlichen Bereichen bevorzugt und erfuhren insgesamt eine privilegiertere Würdigung durch die europäischen Besatzer.

Zug um Zug wurde aus einer zuvor kastisch differenzierten, aber gesamtgesellschaftlich solidarischen und integrativ aufgestellten Bevölkerungspopulation, ein gespaltenes Volk, das sich infolge eingeimpfter Klassen- und Rassen-Lehren nun auch selbst innenpolitisch wechselweise an die Gurgel zu greifen begann.

Die Aspekte einer völkischen oder rassenspezifischen Einordnung und die damit einhergehenden Auf- und Abwertungen bis hin zu Ab- und Ausgrenzungen der einen gegen die anderen, so die jüngere Forschung, wäre somit Ergebnis einer Adaption westlicher Gesellschaftsmuster aus kolonialer Zeit, aber nicht eine – im tradierten Zusammenleben von Hutu und Tutsi schon früher bestehende Konfliktsituation. Etwas verkürzt ließe sich behaupten – die gesellschaftliche Spaltung infolge der ideologischen Betonung von ethnischen, rassischen und anthropologischen Unterschieden zwischen Hutu und Tutsi (in Burundi und in Ruanda) und den daraus entwachsenen Konflikt-Potentialen, ist ein negativer Lernerfolg infolge der Kolonialisierung. Fast so etwas wie eine kulturpolitische Feindbild-Erschaffung. Bis heute bebt diese Entwicklung aus kolonialer Zeit nach und sie spielt unter dem Stichwort der Aufrechnung von Ressentiments insbesondere der burundischen Regierung unter Präsident Pierre Nkurunziza in die Hände.

Denn geht es darum, die Verträge und Ziele der Entwicklungszusammenarbeit mit den Geber-Ländern umzusetzen und zu erfüllen, pickt sich der Präsident gerne die finanz- und wirtschaftspolitischen Rosinen aus dem internationalen Kuchen heraus, ignoriert aber fortgesetzt die entwicklungspolitisch auch geforderten Leuterungs- und Verbesserungsmaßnahmen in den Bereichen good governance, Achtung der Menschenrechte, Beendigung der innerstaatlichen Verfolgung und Bedrohung von Oppositionellen, von freien Medienvertretern und der Korruptionsbekämpfung.

Im Europa des 19. Jahrhunderts waren Demokratie bildende Konzeptionen bereits weit entwickelt. Ein Wesensmerkmal aller demokratisch orientierten Systeme ist das Bestreben, die unterschiedlichen und teilweise auch stark divergierenden Kräfte innerhalb einer Gesellschaft, im demokratischen System zu beteiligen, darin einzubinden und somit eine möglichst hohe Akzeptanz und Tragfähigkeit für ein demokratisch geprägtes Staatswesen herzustellen. Diese demokratischen Strukturen sind in Europa über Jahrhunderte hinweg gewachsen und dabei auch oft blutig erstritten worden. Eben – in der Geschichte Europas oder etwas umfassender – in der Geschichte des Westens.

Die Geschichte lehrt uns allerdings auch, dass die Errungenschaften der westlichen Welt unter dem Stichwort des democracy building nicht einfach auf andere Staaten übertragbar sind. Und so ist es den damaligen Kolonialmächten – Deutschland und später vor allem Belgien – in Burundi und Ruanda nicht gelungen, neben den wirtschaftlichen Ausbeutungsaspekten, für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt in diesen Ländern zu sorgen und den Schritt in die Unabhängigkeit unter Demokratie bildenden Begleitmaßnahmen politisch verantwortungsvoll zu organisieren. Das Gegenteil war eher der Fall – man ließ beide Länder nach Mitte der 1960er Jahre hängen und überließ sie sich selbst in einer damals bereits deutlich erkennbaren Konfliktsituation.

Teil 2 der Artikel-Serie "Burundi - Annäherungen an ein Armutsland" >